Ryan David Jahn - Der letzte Morgen (Heyne Hardcore) +++Rezension & Interview+++
Ein Epos voller Lügen, Verrat und verlorener Moral
Los Angeles. Zwei Morde in derselben Nacht bringen den Unterweltboss James Manning in Bedrängnis. Ein Sündenbock muss her. Eugene Dahl, ein einfacher Mann, der morgens Milch ausliefert und abends Barhocker wärmt, ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Doch er weigert sich, zum Spielball des organisierten Verbrechens zu werden. Um seine Haut zu retten, wird er Dinge tun müssen, die weit schlimmer sind als alles, was man ihm vorwirft.
Ryan David Jahn wuchs in Arizona, Texas und Kalifornien auf. Mit sechzehn Jahren verließ er die Schule, um in einem Plattenladen zu arbeiten. Seit 2004 schreibt er als Drehbuchautor für Film und Fernsehen. Für seinen ersten Roman Ein Akt der Gewalt wurde er mit dem renommierten Debut Dagger Award ausgezeichnet.
Weitere Informationen zum Autor und zu seinen Büchern finden Sie unter:
(Text & Cover: Heyne Hardcore)
(Header: Ryan David Jahn)
Meinung zur Veröffentlichung:
Wir befinden uns im Los Angeles des Jahres 1952. Der 13 Jahre alte Sandy erschießt seinen ihn misshandelnden Stiefvater. Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort ersticht Teddy Stuart einen Kartengeber, der ihn permanent provozierte. Auf den ersten Blick stehen diese Taten in keinem Zusammenhang. Doch die Mutter von Sandy hat eine Freundin, die kompromittierende Fotos des Bezirksstaatsanwaltes Seymore Markley hat und hofft, durch Erpressung einen Vorteil zu erlangen. Dieser jedoch versucht seinerseits, den Buchhalter des Gangsters „The Man“, der eingangs erwähnte Teddy Stuart, dazu zu bewegen, gegen seinen Boss auszusagen. Zwischen all diesen Fronten gerät der unschuldige Milchmann und Schriftsteller Eugene Dahl…
Man merkt der Geschichte an, dass Ryan David Jahn neben seinen Romanen auch Drehbücher verfasst. Angelehnt an die klassischen Gangsterfilme und -romane präsentiert er alle genretypischen Zutaten, um diese Story problemlos für eine Verfilmung adaptieren zu können. Eine derbe Sprache, ein teils auf das Nötigste reduzierter Stil und in den letzten zwei Dritteln ein ansteigendes Tempo. Deutlich merkt man die Ambitionen des Autors, eine groß angelegte Geschichte über Liebe, Hass und Desillusionierung zu schreiben. Vielschichtig auf mehrere Handlungsstränge aufgebaut, ergibt sich jedoch für den Leser stellenweise das Problem, den roten Faden nicht wirklich erkennen zu können, der einen durch die Geschichte führt und dort festhält. Es fehlt oftmals durch die plötzliche Vernachlässigung eines Handlungsstranges das alles zusammenhaltende Gefüge, welches nötig wäre, um eine homogene Geschichte zu präsentieren. So erleben wir einen spannenden, häufig action- und temporeichen klassischen Thriller mit vielen Wendungen, der von seinem Retro-Charme lebt, aber über einige Längen nicht hinwegtäuschen kann.
Der letzte Morgen (Originaltitel: The Last Tomorrow) erscheint in einer Übersetzung von Teja Schwaner als Paperback mit Klappenbroschur bei Heyne Hardcore (528 Seiten, €14,99).
Der letzte Morgen ist ein Roman, der vieles richtig macht, aber in Handlungsaufbau und Charakterentwicklung an einigen Stellen zu ziellos und unstrukturiert erscheint, und so letztendlich die Höchstwertung verfehlt. Mit etwas mehr inszenatorischer Struktur wäre hier deutlich mehr zu holen gewesen, so bleibt es ein spannender, unterhaltsamer und temporeicher Roman, der sich an den Klassikern des Genres orientiert, jedoch nicht das Epos ist, was es gerne geworden wäre.
BRENNEN MUSS LOS ANGELES
Das Buch beginnt mit einem spektakulären und ungewöhnlichen Mord. Wie kam es dazu?
Ryan David Jahn: Ich denke, am besten beginnt man ein Buch mit dem Ereignis, das den Rest der Geschichte in Gang bringt. Ich bin kein großer Freund davon, ewig auf der Backstory herumzureiten, besonders nicht am Anfang. Indem Sandy seinen Stiefvater erschießt, fällt der erste Dominostein und löst eine Kettenreaktion aus. Es war also nur logisch, mit dieser Szene zu beginnen. Davon abgesehen, erinnere ich mich gut daran, wie ich selbst mit Waffen gespielt habe, als ich so alt war wie Sandy. Einmal hätte ich einem Freund fast in den Kopf geschossen (es fehlte vielleicht ein halber Meter). In den Händen Erwachsener sind Schusswaffen unheimlich. Aber in den Händen von Kindern sind sie wirklich angsteinflößend. Die Szene, in der Sandy und sein Freund eine Schrotpatrone in einen Schraubstock klemmen und mit einem Schlosserhammer draufschlagen, beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit aus meiner Kindheit. Wenn ich bedenke, was ich alles angestellt habe, kann ich froh sein, noch am Leben zu sein und nicht im Gefängnis zu sitzen.
Erst bringt ein Kind einen Erwachsenen um, dann muss sich der Protagonist Eugene Dahl gegen das organisierte Verbrechen behaupten. Wolltest du mit dem Buch eine Geschichte im Sinn von David gegen Goliath erzählen?
Ryan David Jahn: Nicht gezielt, aber mir gefällt diese Interpretation des Buchs. Ich glaube, die Sichtweise eines Autors auf sein Werk muss nicht unbedingt die richtige sein. Obwohl es nicht meine Absicht war, leuchtet mir sofort ein, dass man es als David-gegen-Goliath-Geschichte lesen kann. Wobei im echten Leben üblicherweise Goliath gewinnt.
Der Daily Mirror schrieb, »Der letzte Morgen« sei dein »gewagtester und vielschichtigster Roman«. Wie lange hast du daran gearbeitet? Was waren deine Vorbilder in Sachen Storytelling?
Ryan David Jahn: Geschrieben habe ich an dem Buch etwas über ein Jahr. Wer und was mich inspiriert hat? Das ist schwer zu sagen. Ich wollte ein großes Buch schreiben, das etwas über Kindheit und Gerechtigkeit erzählt und über die Desillusionierung des Erwachsenwerdens – also darüber, was aus unseren Kindheitsträumen wird, wenn wir älter werden. Es sollte um Liebe und Hass gehen und um die Grauzone dazwischen, in der sich diese beiden Gefühle oft vermischen. Außerdem sollte sich das Buch episch anfühlen, obwohl es in nur einer Stadt und über einen relativ kurzen Zeitraum im Jahr 1952 spielt. Ich hoffe, das ist gelungen.
Mit einer kleinen Ausnahme war mein einziges Vorbild das echte Leben. Ich habe Bücher geschrieben, die laufend auf andere, ältere Romane verweisen, und auch wenn es diesmal ebenfalls so scheinen mag – manche Szenen erinnern vielleicht vage an David Goodis oder Jim Thompson – war es von mir zu keiner Zeit so beabsichtigt. Das einzige Buch, an das ich mich bewusst angelehnt habe, war »Brennen muss Salem« von Stephen King. Auf den ersten Blick erzählt es eine völlig andere Geschichte, aber die Struktur ist ziemlich ähnlich. Barlow in »Brennen muss Salem« ist James Manning in Der letzte Morgen; das Marsten-Haus in »Brennen muss Salem« ist das Haus des Ermittlers in Der letzte Morgen; beide Bücher haben einen Autor als Hauptfigur; beide handeln vom Verlust von Unschuld. Es gibt noch viele weitere Parallelen. Bisher hat das niemand bemerkt, aber ich verrate es jetzt einfach mal.
Der Roman spielt im Los Angeles der Fünfzigerjahre. Was fasziniert dich an diesem Ort und dieser Zeit?
Ryan David Jahn: Ich habe fünfzehn Jahre lang in Los Angeles gelebt und kenne die Stadt sehr gut. Trotzdem hätte ich das Buch fast nicht geschrieben, weil es zu einer Zeit in der Stadtgeschichte spielt, der sich schon so viele andere Schriftsteller angenommen haben, allen voran James Ellroy. Aber die Geschichte verlangte danach, geschrieben zu werden, und ein Wechsel des Settings kam nicht infrage. Diese Geschichte hätte nirgendwo sonst und zu keiner anderen Zeit funktioniert. Ich habe eine Vorliebe für die Fünfziger- und Sechzigerjahre. Wahrscheinlich, weil es eine Zeit in der Vergangenheit ist, zu der ich noch eine menschliche Verbindung fühle. Die Ermordung Abraham Lincolns zum Beispiel ist von historischer Bedeutung. Aber der Mord an John F. Kennedy hat noch eine emotionale Ebene, die bei Lincoln bereits fehlt. Seine Ermordung ist ein historisches Ereignis, Kennedys ein menschliches. Und weil man zu dieser Zeit noch eine emotionale Verbindung hat, kann man gut Parallelen zu heutigen Verhältnissen ziehen und gleichzeitig zeigen, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart geformt hat.
Derzeit ist eine Verfilmung deines Debütromans »Ein Akt der Gewalt« im Gespräch. Gibt es ähnliche Pläne für »Der letzte Morgen«?
Ryan David Jahn: Sowohl »Ein Akt der Gewalt« als auch »Der Cop« wurden für eine Verfilmung optioniert. Es wäre toll, wenn auch »Der letzte Morgen« als Filmstoff entdeckt würde, aber es ist sehr schwer umzusetzen. Die englische Fassung ist 120 000 Wörter lang. Die meisten Drehbücher bewegen sich eher im Bereich von 20 000 Wörtern. Da das Buch beinahe nur aus Handlung besteht, wäre das eine echte Herausforderung.
Interview: Oskar Rauch
Christian Funke
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